Kautsky – Naturwissenschaft und Bildende Kunst

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Beschreibung

Rainer Behrends und Lothar Beyer
Kautsky – Naturwissenschaft und Bildende Kunst

Festeinband, 160 Seiten
21 x 27 cm, 246 Abbildungen
ISBN 978-395415-148-6

Die Familie Kautsky bereichert von der Mitte des 19. Jahrhunderts an bis heute das künstlerisch-kulturelle und wissenschaftliche Leben in Europa. Unter den bildenden Künstlern erlangten der Kunst- und Bühnenmaler Johann Kautsky und dessen Söhne Hans Josef Wilhelm (Prag, Wien und Berlin) und Fritz (Wien, Berlin) als Bühnentechniker und -ausstatter sowie der Enkel Robert als Ausstattungsleiter der Wiener Staatsoper europaweite Ausstrahlung.
Durch herausragende Leistungen auf anorganisch-biochemischem Gebiet wurde der Chemiker Hans Wilhelm Kautsky sen. bekannt. Hans Kautsky jun., war Forschungsleiter auf dem legendären Schiff „Meteor“. Die Geologen Fritz Kautsky sen. und Fritz Kautsky jun., die Biologen und Meeresforscher Gunnar Kautsky mit den Söhnen Nils Kautsky und Ehefrau Lena, Hans „Hasse“ Kautsky sowie Ulrik Kautsky forschten und forschen erfolgreich in Schweden.
Auf der Grundlage von Nachlässen und aufwendiger Forschungen wird die Geschichte der Familie Kautsky übersichtlich und spannend dargestellt.

Rezensionen

Christian Wilhelm
Umtriebige Gelehrtenfamilie

Rainer Behrends, ehemaliger Kustos des Kulturbesitzes der Universität Leipzig, und Lothar Beyer, ehemaliger Professor für Anorganische Chemie an der Leipziger Universität, haben gemeinsam einen Band über die Gelehrtenfamilie Kautsky beim Passage-Verlag veröffentlicht. Das relativ großformatige Werk mit einem Umfang von 160 Seiten stellt die Lebensleistungen der Familie Kautsky vor, die im 19. und 20. Jahrhundert das künstlerisch-kulturelle und wissenschaftliche Leben in Europa maßgeblich mitgeprägt haben. Man mag sich kritisch fragen, warum zu Zeiten von Wikipedia ein solches Buch nötig ist. Wer aber das Buch in die Hand nimmt und mit der Lektüre beginnt, wird schnell fasziniert sein. Es ist den Autoren gelungen, nicht nur eine umfangreiche Familiengenealogie mit den dazugehörigen Lebensdaten zusammenzustellen, sondern ausgewählte Protagonisten durch deren eigene Dokumente (Bilder, Texte, Publikationen) vor den Augen des Lesers lebendig werden zu lassen. Über sechs Generationen streckt sich die Kautsky-Dynastie mit über 50 Persönlichkeiten, von denen elf der naturwissenschaftlichen und jeweils acht der bildnerisch-künstlerischen bzw. der gesellschaftlich-politischen Linie zuzuordnen sind. Schon hier fällt auf, dass die Kautskys fast durchgängig nicht nur ihr eigenes Metier exzellent vorantrieben, sondern den geistigen Familienhorizont immer im Auge behielten, die gesellschaftlichen Prozesse ihrer Zeit genau reflektierten und diese Überlegungen in ihrem Handeln berücksichtigten. Die Autoren verlieren sich aber nicht in Familiengeschichte, sondern stellen einige besonders herausragende Persönlichkeiten mit ihrem Werk im Detail vor. Unter den bildenden Künstlern werden insbesondere die Werke des Kunst- und Bühnenmalers Johann Kautsky, seiner Söhne Hans Josef Wilhelm und Fritz (beide Bühnentechniker und -ausstatter) sowie seiner Enkel Robert (Ausstattungsleiter der Wiener Staatsoper) und Urenkel dokumentiert. Das vorgelegte Bildmaterial ist von guter Qualität und dokumentiert hervorragend die künstlerische Qualität der Arbeiten. So ergibt sich für den Leser ein kontinuierliches Entwicklungsgeschehen der europäischen Landschaftsmalerei und Bühnentechnik, ohne die die europäische Opernkultur kaum denkbar gewesen wäre. Auf dem Gebiet der Naturwissenschaften sind besonders die Leistungen auf anorganisch-biochemischem Gebiet durch den Chemiker Hans Wilhelm Kautsky sen. zu nennen, dessen Sohn Hans Kautsky jun. später Forschungsleiter auf dem berühmten Forschungsschiff „Meteor“ wurde. Über vier Generationen bereicherten die Kautskys die Meeresforschung. Im frühen 20. Jahrhundert (Fritz und Gunnar) standen Geologie und Paläontologie im Fokus ihres Interesses, während die späteren Generationen, insbesondere Hans „Hasse“ und Lena Kautsky im 21. Jahrhundert als Professoren der Ozeanographie die Biologie im Blick hatten. Es ist für einen Biologen faszinierend zu entdecken, wie in einer Forscherfamilie die Ideen und Konzepte der modernen Meeres biologie (der Wert phylogenetischer Studien, marine Kohlenstoffbudgets, Verteilung und Fortpflanzungszyklen mariner Braunalgen) entwickelt wurden. Schon früh werden von Nils Kautsky die Probleme der Überfischung und die Eutrophierung der Meere erkannt und erforscht.
Für mich als Pflanzenphysiologe ragt naturgemäß die Persönlichkeit des Chemikers Hans Kausky hervor, der in dem Buch besonders detailliert dargestellt wird. Die Breite seiner Forschung ist beeindruckend: Er begann mit der Erforschung des Siloxens und seiner Derivate, die ihn dazu anregte, sich auch anderen Molekülen zu widmen, die die Erscheinung der Chemolumineszenz aufwiesen. Dadurch kam er zu der Frage, wie sich an Grenzflächen Energieumwandlungen vollziehen. Dabei zeigte er erstmals den Zusammenhang von Singulettsauerstoff und Photosensibilierung auf – ein Prozess, der in der Biologie nicht nur in der Reaktion der Pflanzen auf Umweltstress von Bedeutung ist, sondern auch in der Medizin bei der Kanzerogenese. Die Beobachtung der Photosensibilisierung führte H. Kautsky dann zur Beschreibung und kinetischen Auflösung der Chlorophyllfluoreszenz an lebenden Blättern im Jahr 1934 (zusammen mit H. Hirsch). Der quantitative Zusammenhang zwischen Chlorophyllfluoreszenz und photosynthetischer Kohlensäureassimilation ging als Kautsky-Effekt in die Wissenschaftsgeschichte ein. Zur Dokumentation dieser Lichtinduktionskurve musste der Chemiker noch eine Apparatur bauen (publiziert zusammen mit H. Spohn), die eine dafür ausreichende zeitliche Auflösung besaß. Sucht man in Google Scholar nach Zitaten über diesen Effekt erhält man über 50.000 Treffer. Die Zahl wäre um ein Vielfaches höher, wären die Arbeiten aus dem Jahr 1934 mit digitaler Verfügbarkeit in Datenbanken eingetragen. Ohne die Nutzung des Kautsky-Effektes wäre unser Wissen über die marine Primärproduktion und damit der Beitrag der Ozeane zur Klimaentwicklung nur grobe Schätzung – ganz zu schweigen von dem Nutzen für die Industrie, die heute mit Chlorophyllfluoreszenzgeräten ihr Geld verdient. Hier zeigt sich für mich beispielhaft, dass wirklich wichtige Erkenntnisse an Grenzflächen wissenschaftlicher Disziplinen stattfinden. Ohne das Interesse des Chemikers an physikalischen Effekten, die von biologischen Systemen ausgehen, wäre diese Erkenntnis nicht in den Blick gekommen. Die intellektuelle Haltung „der Suche nach Grenzerfahrung“ ist kaum denkbar ohne ein entsprechendes geistiges Umfeld. Das hier vorgestellte wunderbare Buch liefert nicht nur die Fakten der wissenschaftlichen Leistung, sondern gibt uns Einblick in Hans Kautskys „Geisteswelt“. Ich will schließen mit zwei für mich beeindruckenden Zitaten aus dem Lebenslauf von H. Kautsky:
„Dann kam 1933, das Ende der schönen, freien wenn auch wirtschaftlich schweren Zeit. Das wurde mir bald klar, als ich eines Tages am Eingang des Heidelberger Chemischen Instituts ein großes Plakat las: „Wir brauchen keine Intellektuellen, wir brauchen Menschen aus Fleisch und Blut“ und die Aufschrift „Dem freien Geiste, aber deutschen Geiste.“. … Ich konnte es nicht fassen, als ich merkte, dass eine Lüge, zehnmal wiederholt, zur Wahrheit und hundertmal wiederholt, zum Dogma für viele wurde“.
1945 schrieb H. Kautsky in einem Aufsatz: „Die Wissenschaft ist eine gefährliche Macht, die nicht in ungerechte Hände gelangen darf. Sie muss ein Werk des Aufbaues und nicht der Zerstörung sein. Sie hat eine soziale Verantwortung, die darin besteht, bessere, glücklichere und gesündere Lebensbedingungen für Alle zu schaffen, und den wertvollen, guten Anlagen der Menschen zur Entwicklung zu verhelfen. Es ist unfassbar, dass trotz der großen Einsicht und Fortschritte auf allen Gebieten es noch nicht gelungen ist, auch nur die primitivsten Lebensbedingungen, Nahrung, Bekleidung, Wohnung, Unterricht jedem Menschen in ausreichendem Maße zu gewährleisten.“
Diese Sätze Hans Kautskys sind nach fast 80 Jahren noch immer so aktuell als wären sie für heute geschrieben worden.